aus: Katharina Maier: Moderne Helden, Karl-May-Verlag, 25,00 €, ISBN: 978-3-7802-0564-3

Warum sich Superman, Iron Man & Co. im Mayversum wie zu Hause fühlen würden

Dick Hammerdull: „Das kann kein Mensch wissen.“ – Old Shatterhand: „Wenn kein Mensch das wissen kann, so sind wir beide, Winnetou und ich, keine Menschen, denn wir wissen es.“  aus: Karl May, Old Surehand II.

Mayhelden sind einfach super. Sie sind stets erfolgreich, zweifeln selten und wissen grundsätzlich, was zu tun ist. Unerschrocken streiten sie für das Gute und bringen böse Wichte zur Strecke. Dabei können sich ihnen noch so viele Gegner in den Weg stellen, sie räumen sie doch zur Seite – entweder durch Schläue oder mit Körperkraft. Würden sie sich auch noch ein verrücktes Outfit anziehen und über außerordentliche Fähigkeiten verfügen, sie könnten glatt als Superhelden durchgehen … Uffuff!

Wohin man auch blickt, überall sieht man heutzutage Superhelden. Mit bunten Kostümen und – zumeist – unerschütterlicher Lauterkeit haben sie sich die Herzen der Menschen erobert. Doch wenn man sie sich genauer ansieht, dann beschleicht den Mayleser sehr schnell ein Gefühl der Vertrautheit.
Hat unser Reiseschriftsteller etwa in Wirklichkeit Superheldengeschichten geschrieben? Würde sich Batman nicht ziemlich gut im Wilden Westen machen? Gibt es vielleicht sogar einen Superman im Mayversum? Wer ist eigentlich Tony Stark und warum kommt er uns Maylesern so vertraut vor? Und wie konnte ein Saubermann aus dem Zweiten Weltkrieg, der sich die amerikanische Flagge anzieht, wenn er zur Arbeit geht, und auch noch Captain America heißt, im angeblich so abgeklärten 21. Jahrhundert die Kinocharts stürmen? Was wollen die Menschen eigentlich noch mit Typen, die andauernd Gutes tun? Die Antworten auf diese Fragen verraten uns viel über Mays große und kleine Helden. Denn Helden, die so richtig super sind, liegen total im Trend.

Das Zeitalter der Helden

Es waren einmal zwei Geschichtenerzähler, die erfanden einen Helden in einem hautengen Latexkostüm mit einem roten Cape und einem roten „S“ auf der Brust. Das „S“ stand für Super. Später würde es für andere Dinge wie Hoffnung und Gerechtigkeit stehen, aber so fing im Juni 1938 alles an. Der muskelbepackte, dunkelhaarige Herkules mit den blauen Strumpfhosen, den Autor Jerry Siegel und Zeichner Joe Shuster auf das Titelblatt der „Action Comics“ brachten, sollte zum Inbegriff des Superhelden werden: ein strahlender Heros, der immer das Richtige tut, den Guten und den Hilflosen zur Seite steht und den Bösen das Handwerk legt. Siegel und Shuster nannten ihre Schöpfung „Superman“ – und veränderten irgendwie ein ganz kleines bisschen die Welt.

Den Kräften Supermans, dem Außerirdischen vom Planeten Krypton, der sich hinter den Brillengläsern des etwas tollpatschigen Reporters Clark Kent verbarg, schienen keine Grenzen gesetzt und er wirkte schier unkaputtbar. Stahl konnte er mit bloßen Händen biegen, dank Röntgenblick und Supergehör entging ihm nichts, bald konnte er auch fliegen und war mit einem Laserblick ausgestattet, er war schneller als eine Gewehrkugel und jede gewöhnliche Waffe prallte an ihm ab. Das Faszinierende an diesem neuen Helden war aber nicht nur, was er alles konnte; Siegel und Shuster, Söhne jüdischer Einwanderer, waren Idealisten und ihr Heros war ein Weltenretter – und das nicht nur im wortwörtlichen Sinn. Der frühe Superman kämpfte gegen Außerirdische und Superbösewichte, aber auch gegen soziale Ungerechtigkeit. Das traf im Amerika der Dreißiger – neun Jahre nach dem Börsencrash und ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs – auf offene Ohren und offene Herzen. In einer Welt, in der die Menschen sich oft ohnmächtig fühlten, fiel die Idee von einem Helden, der übermächtig und übergut war, auf fruchtbaren Boden. Und die Strahlkraft dieses neuen „Sonnengottes“ (Morrison) wirkt auch 80 Jahre später noch nach.

Der Dunkle Zwilling

Der Auftritt Supermans auf der Bühne der Welt läutete ein ‚Goldenes Zeitalter‘ für Superhelden-Comics ein. Schnell folgte dem strahlenden Apoll sein ‚dunkler Zwilling‘, der ihn an Ruhm noch übertreffen sollte: Batman, der vielleicht bekannteste und beliebteste Superheld überhaupt. Wo dem außerirdischen Superman unsere gelbe Sonne seine übermenschlichen Kräfte verlieh, war Batman ein gewöhnlicher (wenn auch stinkreicher) Erdling, der sich auf seinen Verstand, sein Training und seine Ausrüstung verlassen musste. Kämpfte Superman im hellen Licht des Tages, legte Batman den Bösewichten der Welt lieber aus den Schatten heraus das Handwerk. Stand das farbenfrohe rote Cape bald für Hoffnung, war das dunkle Fledermauskostüm eine Warnung, nicht vom rechten Weg abzukommen. Die beiden ersten großen Superhelden – Mensch und Übermensch, Lichtgestalt und dunkler Ritter – ergänzten sich gegenseitig, und beide Konzepte waren auf ihre Art und Weise reizvoll und wirkungsmächtig.

Doch so unterschiedlich die zwei Helden waren, glichen sie sich doch in entscheidenden Punkten: Sie waren prinzipientreu, kämpften für das Gute und taten stets das Richtige. Wo immer sie konnten, beschützten sie die Machtlosen. Aber sie schonten auch das Leben ihrer Gegner, selbst der bösesten Bösewichte – Superman, weil er es als höchst unmoralisch ansah, mit seiner überlegenen Kraft ein Menschenleben auszulöschen, Batman, weil er wusste, dass ihn zuweilen nur sein Respekt für das Leben von seinen manischen, maskierten Gegnern unterschied.

Dem ‚Mann aus Stahl‘ und der ‚Fledermaus aus Gotham‘ folgten zahllose weitere Superhelden. Sie alle waren mal edle, mal abgefahrene, mal verzerrte Inkarnationen ein und desselben Prinzips: dass jemand, der von der Natur, dem Zufall, durch Wissenschaft oder Magie außergewöhnliche bis übermenschliche Kräfte verliehen bekommen hat, sie für ‚das Gute‘ einsetzt. Was Letzteres sein mag, ist natürlich nicht immer glasklar. Nicht alle Helden sind so erhaben und ethisch unangreifbar wie Superman – das wäre ja auch langweilig. Doch selbst ein in moralischen Grauzonen beheimateter Zeitgenosse wie der mit Augenklappe und Ledermantel bewehrte Superspion Nick Fury, in dessen Augen der Zweck sehr oft die Mittel heiligt, wacht über die Helden seines Universums wie eine etwas dubiose, aber im Großen und Ganzen auf das Allgemeinwohl bedachte gute Fee.
Helden in Strumpfhosen
Die Grundidee des Superhelden, wie sie Siegel und Shuster mit dem kostümierten Clark Kent aufgebracht haben, hält sich seit fast schon 80 Jahren und hat sich über alle Medien ausgebreitet. Sie ist hartnäckig und unausrottbar, ja, sie erlebt gerade eine neue Blütezeit. „Es gibt offensichtlich ein unstillbares Verlangen nach diesen überlebensgroßen Heldenfiguren“, erklärt Stan Lee, Schöpfer von Nick Fury und so berühmter Figuren wie Spider-Man und dem Hulk. Es ist seine Antwort auf die Frage eines Interviewers, warum denn ausgerechnet die Superhelden die Kinos des 21. Jahrhunderts erobert hätten. Stan Lee weiß wahrscheinlich, wovon er redet. Anfang der 1960er legte der Comic-Schreiber, der damals schon 20 Jahre im Geschäft war – allerdings ‚nur‘ mit Geschichten über Monster, Liebe und Verbrechen – zusammen mit den Zeichnern Jack Kirby und Steve Ditko den Grundstein für Marvel, eines der beiden großen Comic-Imperien, die den Markt bis heute dominieren. Bis dahin war DC, die Geburtsstätte von Batman und Superman, allein tonangebend gewesen, doch seitdem leisten sich die beiden Rivalen einen steten Konkurrenzkampf, der längst nicht mehr nur auf den Comicseiten, sondern auf Fernsehbildschirmen und Kinoleinwänden ausgetragen wird. Die Sieger sind in der Regel die Fans. Immer neue Kapriolen, immer fantastischere Geschichten, immer heroischere und immer zeitgemäßere Gestalten lassen sich die Künstler in beiden Lagern einfallen. Um sich gegenseitig zu übertrumpfen, aber auch um Geschichten zu erzählen, die das Potenzial haben, moderne Mythen zu werden – inklusive der dazugehörigen Heroen, bestrumpfhoste Kult-Ikonen für das 20. und 21. Jahrhundert.

Ja, wir leben im Zeitalter der Helden. Jedenfalls im Kino. Gaben einst Western, Romantische Komödien oder Actionfilme den Ton an, teilen heutzutage Fantasy-, Science-Fiction- und Superhelden-Streifen die großen Blockbuster untereinander auf. Irgendwie haben die Superhelden in ihren Kostümen und ihrem überproportionalen Helfersyndrom die Welt erobert. Alle paar Wochen, so scheint es, kommt ein neuer ‚Super-Film‘ heraus, und nicht mehr nur die allerbekanntesten Namen wie Batman und Superman ziehen das Publikum an, sondern auch einst obskure Gestalten wie „Deadpool“ oder „Starlord“. Und wenn auch der ein oder andere Cineast schon von „Superheldenmüdigkeit“ spricht, scheint das Gros des Publikums diese noch nicht zu verspüren. Im Gegenteil existiert offenbar ein schier unersättliches Bedürfnis nach spannend erzählten Geschichten mit schrillen und heldenhaften Figuren, die (fast) immer Gutes tun und (fast) immer triumphieren. Jeder Fan von Karl May, der als Kind Seiten über Seiten der Abenteuer von Kara Shatterhand verschlungen hat und vielleicht auch heute noch verschlingt, wird gut verstehen, warum das so ist.

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