Tipps zum Bau fantastischer Welten

Je länger ich am Schriftstellern bin, desto mehr zieht es mich in die imaginativen Welten – egal, ob Science Fiction oder Fantasy. Daraus habe ich mir meine eigene Schublade gebastelt und nenne sie Future Fantasy oder Science Fantasy. Auch mein Zukunftsepos Die Erste Tochter gehört hier rein. Ich habe gemerkt: Als Schriftstellerin interessieren mich sogenannte realistische Welten einfach nicht. Es macht mir auch keinen großen Spaß, darin zu schreiben. Wie geht es da euch so?

Jedenfalls macht Weltenbauen Spaß – ist aber auch schwer! Und deswegen möchte ich euch ein paar wichtige Prinzipen vorstellen, die man beim Erschaffen imaginativer Welten im Hinterkopf behalten sollte. Und am Ende  verrate ich euch 12 Punkte, die ihr beim Weltenbau unbedingt beachten solltet.

Das Versprechen

Mit jedem Buch schließen Autor:in und Leser:in einen Vertrag. Mit den ersten Worten des Romans, dem Titel, dem Cover, dem Klappentext wird ein Versprechen gegeben. Davon angelockt oder überzeugt, erklärt sich die Leser:in bereit, sich auf das Buch und seine Welt einzulassen. Im Gegenzug löst die Autor:in das Versprechen vom Anfang ein.

Dieses Versprechen ist im Grunde die Prämisse des Romans, also der Ausgangspunkt der Geschichte und der erfundenen Welt. Sie ist sozusagen der „Vorsatz“ der Geschichte.

Zum Beispiel: „Vier Hobbits reisen zusammen mit Zwergen, Elben, Menschen und einem Zauberer durch Mittelerde, um den Ring des Bösen zu vernichten. Sie müssen sich Orks, Trollen, gegnerischen Armeen und dem bösen Willen des Rings stellen.“ (J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe)

Oder die Kurzfassung: Queste, fantastisch-nordische Wesen, Schlachten, alle gegen den Willen des Bösen und die eigene Schwäche.

Anderes Beispiel: „In einer Welt, in der Menschen die vier Elemente ihrem Willen unterwerfen können, wird ein Avatar geboren: das eine Wesen mit der Fähigkeit, alle Elemente zu bändigen. Im Kampf gegen die Eroberungszüge der Feuernation ist seine Macht dringend nötig. Nur leider ist der Avatar ein zwölfjähriger Junge, seit 100 Jahren in einem Eisblock gefroren und hat bisher nur das Luftbändigen gelernt. Zusammen mit seinen Freunden muss er sich dieser großen Aufgabe stellen und dem Prinzen der Feuernation entkommen, der ihn entschlossen verfolgt.“ (Avatar – Der Herr der Elemente)

In der Kurzfassung: Kind mit großer Aufgabe; Elementarmagie; Kriegszustand; fortwährende persönliche Auseinandersetzung zwischen Held und Gegenspieler

Der Vorsatz

Mit anderen Worten: Der Vorsatz der Geschichte ist das, was das Interesse der Leser:innen erregt: „Oh, ich will sehen, wie ein Kind alle Elemente meistert und was das bedeutet!“

Der Vorsatz macht den Leser:innen aber auch ein Versprechen: „Wenn du das liest, wirst du herausfinden, wie ein Kind alle Elemente meistert und was das bedeutet. Komm mit, das macht Spaß!“

Dieses Versprechen muss eingelöst werden!

Ein Vorteil des Versprechens: Es gibt Autor:in und Leser:in in Sachen Weltenbau einen gewissen Vorsprung. Wir wissen ungefähr, womit wir rechnen können, weil wir so etwas Ähnliches wahrscheinlich schon mal gesehen haben. Denn das Versprechen weckt Genreerwartungen, die eingelöst werden müssen. Oder sie können ganz bewusst gebrochen werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Unglauben

Ein weiteres grundsätzliches Erfordernis dafür, dass die Lektüre fantastischer Geschichten überhaupt Spaß macht, ist die willentliche Außerkraftsetzung des eigenen Unglaubens vonseiten der Leser:in.

Das Versprechen und seine Einlösung ist sozusagen das Angebot der Autor:in. Die Bereitschaft, sich auf eine völlig erfundene Welt einzulassen, ist das Gegenangebot der Leser:innen.

Oder anders gesagt: Die Autor:in macht den Leser:innen mit dem Buch ein Versprechen. Im Gegenzug sind die Leser:innen bereit, ihren „Unglauben“ auf der ersten Seite des Buches abzugeben.

In Bezug auf unsere Beispiele bedeutet dies: Die Leser:innen erklären sich bereit, zu akzeptieren, dass es in der Welt des Buches Hobbits gibt, die Tabak rauchen und Kartoffeln essen, und auf einem Kontinent leben, auf dem es auch Wikinger mit Pferden statt Schiffen gibt.

Oder: Die Leser:innen erklären sich bereit, zu akzeptieren, dass Menschen dank magischer Energiekräfte Feuer, Wasser, Erde oder Luft bewegen können und dass ihre Welt nach diesen vier Fähigkeiten in vier Nationen aufgeteilt ist.

Das Vorschussvertrauen

Am besten hat dieses Lese-Phänomen meiner Meinung nach der romantische Dichter Samuel Taylor Coleridge zusammengefasst:

„Wir sind übereingekommen, dass meine Bemühungen auf übernatürliche – oder zumindest romantische – Personen und Figuren gerichtet sein sollen, aber trotzdem so, dass es möglich ist, eine Verbindung mit den Figuren aufzubauen und so diese Schatten der Einbildungskraft mit jener momenthaften willentlichen Aussetzung des Unglaubens auszustatten, die ein Vertrauen in die Dichtung schafft.“

Samuel Taylor Coleridge: Biographia Litararia, 1817

Laut Coleridge ist dies die Voraussetzung, dass fantastische Geschichten überhaupt funktionieren. Diese „Aussetzung des Unglaubens“ oder „Suspension of Disbelief“ ist ein Vertrauensakt der Leser:innen, der im Vorfeld der Lektüre geleistet wird. Sozusagen eine Art Vorschussvortrauen.

Die Autor:in muss aber arbeiten, dieses Vertrauen zu verdienen und aufrechtzuerhalten. Ist dieses Vertrauen nicht da oder wird es im Laufe der Geschichte durch unlogischen, unsorgfältigen und nachlässigen Weltenbau zerstört, können fantastische Geschichten und Welten nicht funktionieren.

Anders gesagt: Wird das Versprechen gebrochen, dann fällt die Geschichte in sich zusammen.

Die Regeln

Puh, das war jetzt viel an Vorrede – eigentlich schon ein eigener Artikel. Danke an alle, die mit dabeigeblieben sind! Denn ich finde es wichtig, dass mal gesagt zu haben. Ich glaube, das mit dem Versprechen, das ein Buch gibt, und dem Vorschussvertrauen des Lesers ist etwas, das irgendwie alle Lesenden und alle Schreibenden wissen. Aber es wird auch gern mal vergessen, vor allem, wenn es um fantastische Welten geht!

Von Seiten der Autor:in hat das viel mit Verantwortung zu tun – Verantwortung den Leser:innen, aber auch der eigenen Welt gegenüber. Ich habe mir einige Regeln aufgestellt, wie autor dieser Verantwortung nachkommen kann. Und die möchte ich jetzt nach dieser langen Hinführung mit euch teilen.

12 Regeln zum Weltenbau für Autor:innen

  1. Um meinen Leser:innen das richtige Versprechen zu geben und es auch einlösen zu können, muss mir klar sein, was meine Welt im Kern ausmacht und sie einzigartig macht.
  2. Das Versprechen muss klar und präzise gegeben werden. Wenn die Leser:innen nicht einmal wissen, was versprochen wird, werden sie es schwer haben, sich auf die Geschichte einzulassen (den Unglauben aufzuheben, Vorschussvertrauen zu geben).
  3. Die Leser:innen müssen in der Lage sein, die Figuren zu verstehen, um sich in sie hineinzuversetzen und eine Verbindung mit ihnen aufzubauen. Das Verhalten der Figuren muss logisch und nachvollziehbar sein (siehe Coleridge).
  4. Es gilt immer: Alles ist in den erfundenen Welten so wie in der tatsächlichen Welt, außer es wird im Buch etwas anderes gesagt.
  5. Alle Regeln, die für die erfundene Welt aufgestellt werden, gelten immer und ohne Ausnahme.
  6. Wer weiß, wie echte Dinge funktionieren, wird es leichter haben, plausible fantastische Welten zu bauen.
  7. Ein Auge fürs Detail ist unerlässlich: Eine Welt kommuniziert autor über Details. Gleichzeitig sind auch sie eine häufige Fehlerquelle für Unstimmigkeiten.
  8. Am besten vermittle ich meine Welt über meine Figuren (wie sie sich verhalten, wie sie reden, was sie glauben, was sie denken, wie sie miteinander umgehen).
  9. Die Leser sind klug; sie wollen ihren eigenen Verstand gebrauchen.
  10. Die Leser haben keine Ahnung; autor muss ihnen die Dinge erklären.
  11. Keine Information ohne Handlung vermitteln!
  12. Wichtig: Die Welt, die ich schaffe, muss am Rande einer Krise stehen. So gelingt der Sprung vom Weltenbau zur Handlung

Ich hoffe, meine Regeln helfen euch in Zukunft beim Weltenbau! Viel Spaß!