Ort des Geschehens in „Die Erste Tochter“ ist der Planet Singis. Hier haben die Singisen – oder wie sie sich selbst nennen: die Nchrynnai – ihren Ursprung. Die kulturellen Zentren des Planeten liegen auf der Nordhalbkugel, und zwar im Westen des riesigen Kontinents, der ein Gros der Landmasse von Singis ausmacht. Jeder im Singisischen Reich weiß das. Nun ja, fast jeder. Denn das Volk der Nordler hat so seine eigene Vorstellung von Kultur – und denkt sich seinen Teil über die zentralistische Mentalität der restlichen Singisen.

Im Reich gibt es nichts als Priester und Hohlköpfe

„Im Norden gedeiht nichts als Tygdulai und Bäume“ – so heißt es im Rest des Singisischen Reiches. Tygdulai sind die traditionellen Reittiere der Singisen, und Bäume – nun, das ist selbsterklärend. Mit dem „Norden“ ist eigentlich der hohe Nordosten gemeint, der von einem Gebirgsmassiv und ausgedehnten Wäldern vom Rest des Kontinents getrennt ist. Aus Sicht der restlichen Bevölkerung von Singis leben dort hauptsächlich Bauern, Tygdul-Züchter und Baumhirten, wie das eben zitierte Sprichwort zeigt. Die Nordler haben allerdings ihre eigenen Sprichwörter.

Tatsächlich unterscheidet sich die Lebensweise der Nordler mehr oder weniger deutlich von der in anderen Teilen des Reiches. Das „Mehr“ oder das „Weniger“ hängt vom Lebensbereich ab, denn selbst im Norden haben die Väter – oder in diesem Fall oft die „Tygdul-Herren“ –  das letzte Wort. Dennoch ist der Umgang zwischen den Geschlechtern im stark agrarischen Norden meist freier; Frauen werden eher als Gleichgestelle angesehen, vor allem, wenn sie gut zupacken können.

Bei den Nordlern zählt in allererster Linie die Nützlichkeit des Einzelnen für die Gruppe. Jeder und jede hat einen festen Platz in den kleinen Gemeinschaften, die sich in Gutshöfen, Dörfern und kleinen Städten oder in Baumnomadengruppen zusammenfinden. Doch dieser Platz wird vor allem von den Fähigkeiten und Fertigkeiten des Einzelnen bestimmt anstatt von sozialer Herkunft – mehr jedenfalls, als das im Rest des Reiches der Fall ist. Von der Ehrerbietung, die andere Singisen Priestern oder Adeligen entgegenbringen, halten die Nordler wenig.

Im Norden läuft der Kalender rund

Niemand weiß mehr so genau, was mit diesem Sprichwort eigentlich gemeint ist – außer, dass die Nordler eben etwas anders ticken als der Rest von Singis. Im Gegensatz zu den übrigen Ethnien, die vor Zeitaltern im Reich der sogenannten Gründerväter aufgingen – die Keimzelle des heutigen Planeten umspannenden Singisischen Reiches – haben sich die Nordler eine eigene kulturelle Identität bewahrt. Ihre alte Religion um den allumfassenden Vaiharrir, den „Atem der Dinge“, haben die Nordler zwar wegen der waffen- und feuerbewehrten Überzeugungskraft der Gründerväter vor langer Zeit aufgegeben, aber viele der alten Glaubenssätze und Rituale haben sich als Bräuche und „Aberglaube“ in die Zeit von Myn und ihren Freunden hinübergerettet.

Viele Nordler sprechen noch die Alte Nordische Sprache, wenn diese auch nicht als gleichberechtigte Amtssprache gilt. Die Bilderwelt ihrer Kunstwerke und Gedichte ist eine völlig eigene, die sich deutlich von der singisischen „Mainstream-Kultur“ unterscheidet. Alte Geschichten, Lieder und Kunstarten werden von Generation zu Generation weitergegeben und so lebendig erhalten. Dass der Norden einst mit Schwert, Feuer und Dampfmaschinen erobert wurde, haben seine Bewohner den „Reichlingen“ nie vergessen.

Davon erzählt auch das nordischer Trauerlied, das dem 2. Band der „Ersten Tochter“ voransteht.

Komm, komm, meine Geliebte!
Dein Haar ist wie Regen
Und wie die Gebeine der Erde sind deine Glieder.
Draußen stehen sie, Männer des Südens,
Feuer in Händen und Tod im Gesicht.
Doch zum letzten Ritt riefe ich gerne,
kämest du nur mit mir.

Komm, komm, Volk der Weite!
Sturm hast du im Blut
Und die Stärke der Steppe in deinen Sehnen.
Wie Tau in der Nacht war dein Werden,
Unter den Hufen der Schönen wogte das Laub.
Und wie Tau nach der Nacht wirst du schwinden,
Und unter den Hufen der Schönen wirst du zu Staub.

Im Norden haben sie ein langes Gedächtnis.

Warum der Norden in „Die Erste Tochter“ so wichtig ist  – um das zu erfahren, müsst ihr die Bücher lesen. 🙂

Band 2 „Frevlersbrut“ erscheint bald als E-Book, Band 3 „Narrenbraut“ gibt es voraussichtlich im Spätsommer. Bis dahin sieht man sich hoffentlich auch mal wieder in diesem Theater. Oder ihr schaut mal bei mir auf Instagram vorbei!