Über Emily Dickinson und andere großartige US-Schriftsteller*innen

Wolltet ihr eigentlich schon immer etwas mehr über amerikanische Literatur wissen, aber die 0815-Literaturgeschichten sind euch einfach zu langweilig? Dann habe ich etwas für euch!

Eine Liebeserklärung an die US-Literatur

Ganz persönlich, interessant, amüsant und manchmal bewegend erzählen deutsche Schriftsteller*innen und Journalist*innen über ihre ersten Begegnungen mit den großen amerikanischen Geschichtenerzählern und Poetinnen. Herausgeber Holger Reichard und Karsten Weyershausen haben uns zu diesem spannenden Projekt zusammengetrommelt, und herausgekommen ist eine abwechslungsreiche Sammlung, die ungewohnte Einblicke in die Literatur von über dem großen Teich gibt. Ich selbst erzähle von meiner ganz langsamen Annäherung an Emily Dickinson und meiner besonderen Freundschaft mit ihr.

Mehr über die Anthologie

Die Literatur aus den Vereinigten Staaten übte schon immer eine besondere Faszination auf die hiesige Leserschaft aus. In diesem Buch erzählen Autorinnen und Autoren verschiedener Generationen, wie sie ihre ganz persönlichen Favoriten entdeckt haben. Die bemerkenswert vielfältige Auswahl umfasst die Horror-Ikone H.P. Lovecraft genauso wie den Kultautor T.C. Boyle, sie reicht von der unvergleichlichen Dichterin Emily Dickinson bis hin zur Fantasy-Newcomerin Tomi Adeyemi – von »América« bis »Americanah«. Scharfsinnige Analysen sowie emotionale Erinnerungstexte verdeutlichen die sich unaufhörlich wandelnde, doch stets innige Beziehung zwischen amerikanischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern und ihrem deutschsprachigen Publikum.

Das Buch hat sogar eine eigene Website! Wer sich für amerikanische Literatur interessiert oder interessieren möchte, sollte unbedingt vorbeischauen! 🙂

Die Entdeckung Amerikas. Liebeserklärungen an die US-Literatur. Herausgegeben von Holger Reichard und Karsten Weyershausen. Verlag Reiffer, 20,00 €,  ISBN: 978-3-945715-78-9

Textauszug aus meinem Beitrag über Emily Dickinson

To make a prairie it takes a clover and one bee,

One clover, and a bee.

And revery.

The revery alone will do,

If bees are few.[1]

Klingt das nicht nett? Träumerei und Bienen, und das allein vermag alles. Ja, das klingt ziemlich nett. Und es klingt wahr, auf eine harmlose Art und Weise. Welcher Leser und heimliche Dichter, der etwas auf sich hält, leugnet schon die Macht der Vorstellungskraft?

„To make a prairie“ war eines der ersten Gedichte, das ich jemals von Emily Dickinson las, vielleicht sogar das allererste. Man sagte mir, ich müsste es großartig finden, und ich fühlte mich auch dazu bemüßigt. Aber in Wirklichkeit tat ich es nicht. Ich fand es nett. Und ich fand Emily nett. Ich meinte das damals nicht geringschätzig, aber es gibt wohl kaum ein schaleres Kompliment, das man einem Künstler machen kann. Geschweige denn einer Künstlerin. Häkeldeckchen sind nett. Aber doch keine Gedichte.

Ich wollte nicht in einem Boot sitzen mit dem hochintellektuellen Dichter-Kritiker R. P. Blackmur, der 1937 über Emily Dickinson vermerkte: „She was a private poet who wrote indefatigably as other women cook or knit.“ – Sprich: Ein echter Poet ist sie nicht, zumindest nicht in Blackmurs Augen Für ihn war Dichten eine ernste, analytische Angelegenheit und hatte mit Alltagsdingen wie Kaffeekuchen oder Strickmustern nichts zu tun. Emily, so fand Blackmur, packte ihr Streben nach Bedeutung in ein ungeordnetes Durcheinander, weil sie unreflektiert schrieb – wie von selbst. Nicht poetisch halt. Nicht durchdacht. Typisch weiblich.

Letzteres sagte Blackmur so nicht. Ich möchte es ihm noch nicht mal unterstellen. Der gefürchtete Kritiker beurteilte männliche Dichter genauso harsch wie weibliche. Trotzdem haben seine Worte über Emily Dickinson den Beigeschmack von dem, was im Englischen so schön „to patronize“ heißt – gönnerhaft und von oben herab sprechen. Es mag mehr über mich aussagen als irgendjemanden sonst, aber ich habe bei diesem Wort immer automatisch einen männlichen „Patron“ im Kopf, der einer – vorzugsweise jüngeren – Frau begütigend die Schulter tätschelt, wenn sie sich ernsthaft mit ihm unterhalten will. Und dann frage ich mich, was die Hand dieses Patrons auf meiner Schulter zu suchen hat. Get your hand off my shoulder, dude!

Nein, an der Seite eines solchen Zeitgenossen fühlte ich mich nicht sonderlich wohl. Langsam wurde ich um Emilys willen richtig wütend. Ich musste an die vierzig Manuskriptbücher denken, die mit Nadel und Faden zusammengeschnürt und in einer Truhe verschlossen worden waren.

[1] Das Gedicht von Emily Dickinson ist zitiert aus: Emily Dickinson: Guten Morgen, Mitternacht. Gedichte und Briefe. Zweisprachig. Zürich 1997.