Manchmal hat man das Gefühl, dass ein „work in progress“ nie ein Ende findet. Geht es euch auch so? Als wäre da immer nur „progress“ und nie ein Ergebnis. Na gut, „progress“ ist immerhin besser als Stillstand. 😅

Vielleicht liegt das Problem in meinem Fall auch darin, dass ich mich einfach nicht kurzfassen kann. Band 4 meines Zukunftsepos Die Erste Tochter wird um die 500 Buchseiten haben – und ja, das bedeutet, er ist fertig. Zumindest habe ich den Roman fertiggeschrieben. Jetzt gilt es „nur“ noch, die Lektoratsnotizgen einzuarbeiten. Und dann muss das Kind natürlich noch schön angezogen werden …

Ich hoffe, ihr freut euch auf Myns Rückkehr in „Ketzersbuhle“! Im Folgenden gibt es ein paar Informationen über den Roman und eine kleine Leseprobe vom Anfang. Wer überhaupt gar keinen einzigen Spoiler mag, der hört vielleicht am besten auf zu lesen. 😇

Dem Rest wünsche ich viel Spaß!

Tidbits – 8 Infos zu Myn 4

  1. Der Roman hat einen überraschende Wendung, mit der ich selbst nicht gerechnet hatte.
  2. Myn bekommt einen neuen Namen.
  3. Vairynn übernimmt eine neue Verantwortung.
  4. Eftnek Neoly tut überrschande Dinge. Ktorram Asnuor auch.
  5. 8 Tage können sehr lang sein.
  6. Eine Herde ist etwas anderes als ein Nest.
  7. Alte Frauen sollte man niemals unterschätzen.
  8. Unser neues Motto lautet: Liebe lieber ungewöhnlich

Leseprobe: So fängt der Roman an

Das kleine Haus war grell verputzt, seine Fenster vielsagend verdunkelt. Aus dem mit pinkfarbenen Ziegeln gedeckten Dach reckten sich stolze pilzförmige Türmchen in den Himmel und über dem Eingang tanzten digitale Zitate aus dem Kannsaké, einem der großen erotischen Werke der singisischen Literatur. Die kecken Sprüchlein waren so aus dem Zusammenhang gerissen, dass sie eher lächerlich als aufreizend wirkten, doch das änderte nichts daran, dass Pektay Fno mich zu einem Freudenhaus gebracht hatte.

Mein Hirn war für einen Moment wie eingefroren, ehe ich zu Pektay herumfuhr und sie unsanft am Arm packte. „Die Organisation für die Gleichstellung der Frau trifft sich in einem Bordell?!“

Ich hätte nicht sagen können, womit ich gerechnet hatte, als ich die schöne Buchhändlerin und verloschene Flamme meines Geliebten darum gebeten hatte, mir Zugang zu den „Töchtern der Lchnadra“ zu verschaffen, wie sich die Organisation so harmlos nannte – harmlos deshalb, weil diese Wendung im Grunde nur eine landläufige, wenn auch etwas altmodische Bezeichnung für singisische Frauen im Allgemeinen war. Gegner der Organisation nannten deren Mitglieder lieber Buhlen des Göttlichen Gegners oder ganz einfach Widernatürliche – als wäre eine Frau, die sich nach Freiheit und Gleichheit sehnte, das Abartigste auf der Welt. Nun, wenigstens machten sie keinen Hehl daraus, was sie von uns hielten. Vielleicht, so sinnierte ich, war es nur folgerichtig, wenn sich die Töchter der Lchnadra an solch einem Ort versammelten.

Pektay jedoch verdrehte die Augen. „Sei nicht albern! Das wäre ja wohl höchst verdächtig, wenn sich ein Haufen gutsingisischer Frauen eine nach der anderen in einen Puff schleichen würde, oder? Können ja nicht alles Nutten sein.“ Mit einem Grinsen wies sie unauffällig auf das nicht weniger geschmacklos gestaltete Gebäude gleich neben dem Freudenhaus. „Nein, liebste Myn, wir sind sehr viel gewitzter: Wir treffen uns in einem Lchnadra-Tempel.“

Meine Augen wurden noch runder als sie ohnehin schon waren. „Das … das ist ja wohl der offensichtlichste Treffpunkt, den ihr euch hättet aussuchen können!“

„Eben“, entgegnete Pektay zufrieden. „Und deswegen kommt keiner drauf, hier einmal nachzuschauen. Wirklich“, bekräftigte sie auf meinen skeptischen Blick hin. „Simple Psychologie.“

In meinen Ohren hörte sich das nicht sehr überzeugend an. Aber offensichtlich war noch niemand auf die Idee gekommen, dieses Lchnadra-Tempelchen mitten im verrufenen Westviertel der Reichshauptstadt nach Mitgliedern einer verbotenen Organisation zu durchsuchen, die für die Befreiung der singisischen Frauen von dem Joch eintrat, unter dem wir seit Zeitaltern kleingehalten wurden.

War ich verbittert? Aber natürlich. Deswegen war ich ja hier.

Nichtsdestotrotz starrte ich unbehaglich das Gebäude an, das ganz im opulenten Stil der frühen Oligarchie gehalten war – mit einer kristallenen Kuppel als Dach, die das Licht in alle Farben des Spektrums zerbrach, zahllosen winzigen Fensterchen, jedes davon mit andersfarbigem Glas ausgestattet, und einem überdimensionierten Tor, das auf hirnverrenkende Weise größer wirkte als das Tempelchen selbst. Flankiert wurde der Eingang von gedrehten Säulen, die viel zu zierlich waren, um irgendeine tragende Funktion zu haben, und mit so vielen Schnitzereien übersät waren, dass es absolut unmöglich war, eine einzelne Gestalt aus dem Konglomerat an mythischen Figuren herauszufiltern. Es hätte fast schon wieder Kunst sein können, wäre die Fassade des Tempels nicht mit blattgoldenen Ornamenten überfrachtet gewesen, die deutlich machten, dass es dem Architekten mit seiner baulichen Vision bitterernst gewesen war.

„Du siehst so aus, als könntest du jeden Moment einen Rückzieher machen“, unterbrach Pektays taxierende Stimme meine Entsetzensstarre.

Ohne die Augen von der Geschmacksverirrung in Tempelform abzuwenden, schüttelte ich den Kopf. „Keine Sorge. Ich sehe nur mit ungläubigem Erstaunen, dass irgendjemand tatsächlich das Bedürfnis verspürt hat, die frühe Oligarchie wiederzubeleben – überkandidelter Kitsch, wenn du mich fragst.“

Pektay folgte meinem Blick zu der steinernen Lchnadra-Statue, die über dem goldverzierten Torbogen thronte. Auch sie war großzügig mit Gold ausgestattet – ihr Kleid, ihr Kopfschmuck, sogar ihre Lippen und Augen – und stierte mit ausdruckslosem, kalkweißem Gesicht in die Welt. In jeder Hand hielt sie ein Konstrukt aus Glaskristall, das eher aussah wie eine monströse Häkelnadel als die zerbrochene Ährenkrone, die das traditionelle Attribut der Göttin war.

„Schlimmer als Kitsch“, meinte die Buchhändlerin mit schiefgelegtem Kopf. „Ich hasse diese früholigarchischen Darstellungen von Lchnadra. Sie sieht weder aus wie eine Mutter noch wie eine Herrscherin noch wie die Dame Tod. Sie sieht aus wie eine Puppenkönigin, nichts weiter.“

„Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Die Oberflächlichkeit einer ganzen Epoche in Stein geronnen. Wer kommt auf die Idee, so etwas wiederbeleben zu wollen? Ich fühle mich ästhetisch brüskiert.“

Pektay lachte. „Ganz zu schweigen davon, dass es meiner Meinung nach an Blasphemie grenzt, die Göttin so darzustellen, als wäre sie nichts weiter als ein golden angemaltes Ding in der Hand eines Puppenspielers.“

„So habe ich das noch nie gesehen. Aber jetzt, wo du es sagst …“

Ich musterte Pektay aus dem Augenwinkel. Schon in ihrer Buchhandlung war mir klargeworden, dass sie blitzgescheit und hochgebildet war. Nach meiner großartigen Verkündung, dass ich der Schlange aller Schlangen den Kopf abschlagen wollte, hatte sie mir erst einmal eine riesige Kanne Kaffee gekocht und mich über meine Ansichten die Organisation betreffend ausgefragt – inwieweit ich die Aktivitäten der Töchter verfolgt hatte, ob ich mit ihren Zielen vertraut war, was ich von ihren Aktionen hielt –, doch sie tat es so geschickt, dass ich ihr am Ende alles Mögliche über mich und insbesondere über meine Beziehung zu meinen Mann und meinen Vater verraten hatte. Als ich das merkte, zog ich einen Flunsch, und Pektay lachte keckernd und servierte mir ein spätes Frühstück aus blauen Eiern, purpurfarbenem Mattelpüree und jeder Menge Speck. Nur weil sie sich weigere, für Männer zu kochen, meinte sie, heiße das nicht, dass ihre Freundinnen bei ihr darben müssten. Ich fragte sie, ob wir das denn nun wären, Freundinnen, und sie lächelte darauf nur kätzisch. Zum ersten Mal begriff ich, warum andere Leute es irritierend fanden, wenn ich das tat.

Ich war mir nicht sicher, wie genau Pektay meine Absichtserklärung in Sachen Schlangenköpfung aufgefasst hatte, doch stimmten wir auf jeden Fall insofern überein, dass unter der Herrschaft Ktorram Asnuors kein besseres Leben für Frauen möglich war, wenn dem gesamten Reich nicht gar schlimmere Zeiten drohte. Zu viel war in den letzten Jahren vorgefallen, zu viel hatte sich zum Dunklen gedreht. Manchmal, so Pektay, habe sie das Gefühl, nur eine Spielfigur in einem Puppenstück zu sein, dessen Drehbuch Dechal, der Herr aller Schatten, höchstpersönlich geschrieben habe.

„Vor einem Jahracht habe ich an der Seite deiner Mutter für die Rechte aller Singisinnen demonstriert“, sagte sie mit einem kalten Licht in ihren glasgrünen Augen, „und nachdem dieser Mob auf Sunnz eine völlig unschuldige Frau angezündet hatte, habe ich die Töchter der Lchnadra wieder auf die Straße gezwungen, habe so lange getobt und geschrien, sie einen Haufen Schwachherzen genannt, die Lys’ Erbe besudelten, bis es kein Halten mehr gab. Ich wollte endlich da weiterzumachen, wo wir nach dem Tod deiner Mutter aufgehört hatten. Aber weißt du was? Dieser Kampf um gleiche Rechte ist längst verloren, jedenfalls für den Moment. Niemand will hören, was wir zu sagen haben, selbst die nicht, die uns nicht für widernatürlich halten. Was zählt schon die Unzufriedenheit von ein paar Weibern angesichts von Drachenfrauen und außenpolitischen Spannungen und der Tatsache, dass wir in einem Feldherrnstaat leben? Und soll ich dir was sagen? Oft weiß ich keine Antwort auf diese Frage.“

„Wir müssen unsere Zielrichtung ändern“, sagte ich ruhig, wählte meine Worte sehr bewusst. „Es bringt nichts, um ein Stück Kuchen zu betteln, solange der ganze Kuchen Ktorram Asnuor gehört. Wir müssen ihm den Kuchen erst wieder wegnehmen. Und dafür müssen wir uns mit den Leuten zusammentun, denen es nicht passt, dass der Feldherr die gesamte Bäckerei übernommen hat. Mit Männern, anders gesagt. Wir brauchen Verbündete.“

Über ihre Kaffeetasse, die eigentlich eher eine Schüssel zu nennen war, sah Pektay mich abwägend an. „Ich glaube, irgendwann zwischendrin ist diese Metapher mit dir durchgegangen, liebste Myn. Aber weißt du was? Dasselbe hat deine Mutter vor Jahren schon gesagt. Nur ohne Kuchen.“

Ich lächelte sie an und zum ersten Mal, seit mein Geliebter mich in ihre zauberhafte Buchhandlung geführt hatte, tat ich es ohne die Maske der Großen Dame oder einem Drachengrinsen. Ich würde wohl nicht umhinkommen, diese Frau zu mögen, Vairrynn hin, Eifersucht her. Es hätte mich vielleicht nicht wundern sollen; schließlich hatte mein Geliebter einen ausgezeichneten Geschmack. Dass sie über seine illegalen Gefühle für mich Bescheid wusste, wollte mir zwar immer noch nicht recht schmecken, aber genau genommen konnte Pektay dafür ja nichts. Sie hatte meinen Geliebten schließlich nicht gezwungen, ihr sein Herz auszuschütten. Vairrynn vertraute ihr und ich vertraute ihm und sie hütete sein gefährlichstes Geheimnis schon seit Jahren – und das, obwohl sie, wenn ich das spannungsknisternde Wiedersehen der beiden richtig gedeutet hatte, alles andere als gut auf ihn zu sprechen war.

Was wollte ich also mehr? Außer natürlich einen funktionierenden Lebenserhaltungstrieb vonseiten Vairrynn Neolys und eine Amnesie induzierende Droge für Pektay Fno. Beides war in etwa gleich wahrscheinlich, nämlich gar nicht, also musste ich mich wohl oder übel mit der bestehenden Situation arrangieren. Die da war, dass ich mich in Freundschaft zu einer Frau hingezogen fühlte, die enervierend schön und klug war, meinen Geliebten entjungfert hatte und nebenbei sein Leben in der Hand hielt. Nun ja, je näher ich ihr war, desto besser konnte ich ein Auge auf sie haben, oder nicht?